Im Park des Sonnengottes

Von meinem Fenster im 21. Stock eines Apartmenthauses an der Jianguomenwaidajie – etwa „Große Äußere Staatsgründungsstraße“ – im Bezirk Chaoyang, blicke ich direkt nach Norden auf eine grüne Oase: Das alte Diplomatenviertel, wo sich heute u.a. die Botschaften von Österreich, Kuba, Singapur und Rumänien befinden. Gleich dahinter, keine 10 Fußminuten entfernt, liegt der Ritan-Park, den ich nicht nur morgens zum Laufen, sondern auch für einen Mittagsspaziergang aufsuche.

Die Tempelanlage „Tan Wei“ im Zentrum des Parks wurde bereits 1530 durch einen Ming-Kaiser errichtet. Zum Frühlingsanfang opferte man dem Sonnengott. Die angrenzende Umgebung ist heute ein öffentlicher Park mit riesigen Pappeln, Gingkos, Robinien, Akazien und anderen Mimosenartigen, Ahorn, Tujen, Kiefern mit platanenartiger Rinde – sowie eine große Anzahl bis zu 300 Jahre alter Zypressen. Auch Bäume mit Kaki-Früchten, Camelienbüsche, Buchsbaumhecken – und natürlich Bambuspflanzungen. Auf den nur etwa 20 Hektar schlängeln sich unzählige Wege und Pfade, von denen einige aus Natursteinornamenten bestehen. Es gibt Seen auf denen Lotusblumen wachsen, künstliche Felsen mit Grotten und Wasserfällen, auf Hügeln kleine Pavillons. Überall laden Bänke aus Stein oder Holz zum Verweilen ein. Zwischen Rasenflächen sind kunstvoll arrangierte und geformte Blumenrabatten angelegt. Rechtzeitig zum Natonalfeiertag am 1. Oktober wurde der gesamte Park aufwändig herausgeputzt.

Die Menschen der Nachbarschaft nutzen den Park von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Auf einem 1500 m langen Rundkurs sind morgens nicht nur Jogger unterwegs, sondern auch aktive Spaziergänger – manche gehen sogar rückwärts! Die Menschen hier bewegen sich gern, Frühsport jeder Art ist angesagt: Ob Seilspringen, Hula-Hoop, Übungen an Fitnessgeräten, Tanzen in Gruppen zu mitgebrachter Musik, Badminton – sehr beliebt ist auch Jianzi (Federfußball). Und es gibt zwei Kletterwände! Neben den bekannteren typisch chinesischen Disziplinen wie Tai Qi und Qi Gong, gibt es auch Menschen, die Bäume für ihre Übungen benutzen: Sie lehnen sich dagegen, drücken, reiben, ziehen und strecken. Den Bäumen scheint das wenig auszumachen.

Hauptsächlich ältere Menschen spielen Karten, Schach und andere Brettspiele, lesen ein Buch oder unterhalten sich miteinander. In der Mittagspause wird der Park von Geschäftsleuten aufgesucht, um für ein paar Minuten der Großstadthektik zu entfliehen. An Wochenenden und Feiertagen kommen Familien mit ihren Kindern; picknicken, spielen, malen, machen Seifenblasen, fangen Goldfische oder drehen ein paar Runden in den Fahrgeschäften des kleinen Vergnügungsparks. Neben einigen Kiosken gibt es in der Periferie des Parks auch eine handvoll recht guter Restaurants.